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Reise in die neue Freiheit

Wechseljahre! Ein Wort, das wann immer ich es mir auf der Zunge zergehen lassen will, einen bitteren Beigeschmack hinterlässt. Die Zuschreibungen an diese und die nun folgende Lebensphase, die in meinem Kopf geistern für wahr zu nehmen, weigere ich mich. So mache mich auf eine Reise quer durch Italien mit dem Ziel, im Wechsel der unterschiedlichsten Landschaften die Chance im Wandel, der sich in meinem Körper und in meinem Leben vollzieht, zu entdecken.

Überfallartige Hitzeschübe, Kopfschmerzen und allerlei andere Beschwerlichkeiten signalisieren mir seit einigen Wochen deutlich, dass sich etwas verändert in mir. Auch die Vorstellung, dass sich damit auch das endgültige Ende der Jugendlichkeit ankündigt, lässt mich erschauern. Dem allem will ich mich stellen und mich dennoch nicht ergeben. Da muss es noch etwas geben DANACH! So mache ich mich auf die unbestimmte Suche, was dieses etwas sein könnte und plane eine Reise in das Land, das mich schon immer angezogen hat: ITALIEN!

Mit einem gemieteten Wohnmobil starte ich aus meinem turbulenten, arbeitsreichen und zermürbenden Alltag in Richtung Lago Maggiore, meinem ersten Ziel. Völlig erschöpft von zu langen Arbeitstagen, einem kränkelnden Vater und nicht zuletzt der unbefriedigenden neuen Wohnsituation meines Sohnes mit Down-Syndrom packe ich mit buchstäblich letzter Reserve das für eine dreiwöchige Reise Notwendige in meine fahrbare Behausung.

Ziel und Wendepunkt ist Assisi, der Ort an dem der Hl. Franziskus gelebt und gewirkt hat. Dieser Mann, der einen kompletten Wandel vollzogen hat von einem Leben in Luxus und Reichtum zu einem Da-SEIN in völliger Armut und im Vertrauen, dass für ihn gesorgt ist, fasziniert mich schon seit langem. In der stillen Hoffnung, mich von seinem Geist für meinen ganz persönlichen Wandel inspirieren zu lassen, möchte ich zumindest ein Stück zu Fuß auf dem Cammino di Francesco gehen.

Doch bis dahin liegt eine gehörige Strecke Weges vor mir. Einige Stationen, unterschiedlichste Landschaften und immer neue Erfahrungen braucht es, um anzukommen bei mir und in Assisi.

Das erste Ziel Cannobio am Lago Maggiore empfängt mich mit Regen. Genau passend, um anzukommen und mich mit meinem neuen Heim vertraut zu machen. Am nächsten Tag brechen die ersten Sonnenstrahlen warm durch die Wolken und ich genieße die Palmen, den warmen Wind bei einem Spaziergang in das malerische Cannobio entlang des gleichnamigen Flusses. Hier am Lago hatten wir Urlaub mit den Kindern gemacht, vor unendlich langer Zeit. Erinnerungen holen mich ein, Bilder einer Zeit in der ich eingespannt war in die alltäglichen Aufgaben einer Mutter mit allen Freuden und Entbehrungen. Unter die leichte Wehmut mischt sich Dankbarkeit für das vergangene Schöne und Bereichernde.

Meine nächste Station ist der Iseo-See, nur etwa 160 Kilometer entfernt und malerisch eingebettet in die Ausläufer der Alpen. Auch hier fällt es mir noch schwer die Last der letzten Wochen, Monate, ja Jahre abzuwerfen. Mein Morgenritual am See bringt mich für kurze Zeit in die NOTWENDIGE Ruhe. Vom Glockenspiel des Kirchturms in Iseo klingen wunderschöne Melodien über den See. Mein Fahrrad begleitet mich auf Streifzüge in die Stadt und die Umgebung. Langsam, ganz langsam stellt sich so etwas wie „Urlaubsfeeling“ ein und ich beginne diese Zeit ohne Verpflichtungen und Termine zu genießen.

Nach fünf Tagen „Eingewöhnung“ geht es weiter Richtung Toskana und „Kultur“. Die Fahrt über den Apennin mit seinen sanften, bewaldeten Hügeln bringt mich neuen Gefilden näher. Von Zypressen flankierten Anwesen und Dörfer, die wie gemalt auf sanften Erhebungen Gegenden in denen ich noch nie war verbreiten einen ersten Hauch von Neuem, Unbekanntem, den jeder Wandel mit sich bringt.

Pisa ist mein nächstes Ziel. Das „Feld der Wunder“ mit dem berühmten schiefen Turm, der Taufkirche und dem Dom ziehen mich in ihren Bann. Wundervoll arrangiert stehen diese Monumente frei auf einem grünen Rasen. Die wechselvolle Geschichte scheint spurlos an ihnen vorüber gegangen zu sein. Nur der schiefe Turm musste mit Tonnen von Beton gestützt werden, um nicht umzufallen und ist gerade durch seine Schiefe zu Einmaligkeit gelangt. Mir drängt sich der Gedanke auf, ob auch nicht wir durch unsere Macken, Unregelmäßigkeiten in unserer Biographie erst zu etwas Besonderem werden!?

Bei aller Faszination zieht es mich weiter in die nächste Kulturmetropole Florenz, die Stadt, die mit Kunstschätzen nur so wuchert, fasziniert mich in ihrer Vielfalt. Fotomotive an jeder Ecke. Die Auswahl fällt schwer. Alles ist interessant und schön. Hier haben Menschen mit großen Namen wie Leonardo da Vinci und Michelangelo gewirkt, Menschen, die ihrer Zeit weit voraus waren, in ihrem Umfeld oft nicht verstanden wurden und dennoch ihre Berufung gelebt haben.

Kunst und Kultur geballt, südliche Hitze und stundenlanger Gewitterregen auf dem Campingplatz in Florenz markieren einen ersten Kontrapunkt zu den bekannten Landschaften und Familienurlauben an den oberitalienischen Seen.

Doch ich möchte noch weiter vordringen in unbekannte Gefilde und näher an die Wirkungsstätten meines „Idols“ Franz von Assisi. Etwa 150 km südöstlich von Florenz liegt mitten in Umbrien der Trasimeno-See. Auf einem Campingplatz nahe Passignano ergattere ich einen Stellplatz in der ersten Reihe direkt am See. Fast lieblich liegt er da und sein wohlig-warmes Wasser hüllt mich ein wie eine kuschlige Decke. Vom ersten Moment an fühle ich mich wohl und der letzte Druck fällt von mir ab. Endlich bin ich angekommen, nach fast zwei Wochen! Auf einer Insel im Trasimeno-See, der Isola Maggiore, hat Franz von Assisi gefastet. Eine kleine Kapelle in der franziskanischen Klosteranlage erinnern daran. Ich komme ihm näher.

Meinen Plan ein größeres Stück des Franziskuswegs zu Fuß zu gehen, verwerfe ich schweren Herzens. Zu viel Zeit habe ich gebraucht, um den Alltag hinter mir zu lassen. Also fahre ich weiter zum Zielpunkt Assisi. Gegen Abend komme ich auf dem dortigen Campingplatz etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt an. Nach einer Stärkung mache ich mich doch noch auf zum Fußmarsch auf den letzten Kilometern des Cammino. Ein wunderschöner Weg entlang eines ausgetrockneten Flusses tut sich auf. Vor mir Assisi, das wie ein Bienennest am Hang eines Berges klebt, in weiches Abendlicht getaucht und hinter dem Berg dunkle Gewitterwolken. Unter die Dankbarkeit für das wundervolle Licht, das mir geschenkt wird, mischt sich ein ungutes Gefühl ob des nahenden Gewitters. Vögel zwitschern munter ihr Abendlied und ich kann diesen Franz regelrecht fühlen, mir vorstellen, dass er mit den Vögeln geredet hat. Auch wenn sich die Wolken immer dunkler und bedrohlicher vor mir auftürmen, fühle ich mich auf eigenartige Weise beschützt. Und tatsächlich entlädt sich die in der Luft liegende Spannung erst in der Nacht, als ich längst wieder sicher in meinem Wohnmobil liege, dankbar berührt von den Erlebnissen auf meinem kurzen Pilgerweg.

Assisi, Ziel und Wendpunkt auf meiner Reise, hat etwas in mir verändert. Gestärkt und gewappnet für das, was da kommen mag in diesen Tagen und Jahren des Wechsels, mache ich mich auf den Rückweg in das Alltagsleben.

Was bleibt von dieser Reise ist das Gefühl nach so langer Zeit wieder zu leben anstatt nur zu funktionieren, beflügelt von einer Leichtigkeit wie sie normalerweise jungen Jahren vorbehalten ist. Die neue Freiheit zu gestalten und dieses „Reisegefühl“ möglichst lange zu bewahren, ist das Ziel für die Zeit danach…und anfangen werde ich gleich, indem ich so manche Verantwortlichkeiten, die sich im Lauf der Jahre auf meinem Konto angehäuft haben abgebe, andere in die Pflicht nehme und mir Schuhe, die nicht zu mir passe konsequent stehen lasse. Die nächste Reise ist schon in der groben Planung. Denn Reisen, das hat dieser Trip gezeigt, ist ein zentrales Element in meinem neuen Leben!

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